Vincent van Gogh 1889
Sich durch den Himmel als Europäer erleben
Die Himmelskundlerin Liesbeth Bisterbosch. Quelle: »Am Schreibtisch«, in: a tempo 12/2006
Im Juni gibt es einen Tag, den ich mit der Erwartung beginne: „Heute wird ein Festtag sein!“ Die ersten Probeseiten des neuen Sternen- und Planetenkalenders kommen aus der Druckerei. In diesem Monat, in dem die niederländischen Nächte zu kurz sind, um die Sterne funkeln zu sehen, prüfen wir, ob die Sterne auf dem Papier einen schönen Glanz haben, die Tierkreisfiguren nicht zu auffallend, aber auch nicht zu schwach sind und ob alle Neuerungen umgesetzt sind.
Wir möchten zum Vorteil der treuen Kunden, dass der Kalender sich immer wieder weiterentwickelt. Und für potenzielle neue Nutzer ist es wichtig, dass sie sich direkt angesprochen fühlen. Aus Gesprächen, E-Mails und Telefonaten weiß ich, dass Menschen insbesondere den Namen eines bestimmten, auffallenden »Sterns«, der gerade neben der Mondsichel steht, kennen möchten. Jeder Interessent muss mithilfe des Kalenders feststellen können, dass an dem betreffenden Abend der Mond bei Venus steht.
Die Initiative zu einem Kalender mit neuen Himmelskarten ist hervorgegangen aus dem Bedürfnis nach didaktischem Bildmaterial für meine Kurse. Zur Zeit meiner Ausbildung zur Ernährungsforscherin auf der Landwirtschaftlichen Universität wurde ich von dem Klassenlehrer einer 7. Klasse der Waldorfschule gefragt, ob ich die Sternkunde-Epoche übernehmen wolle. „Sterne gucken“ war ein neues Hobby von mir, aber ich hatte noch niemals Klassen unterrichtet. Zusammen mit den Kindern den Himmel zu erkunden, das ist doch etwas Besonderes! Und so ergab sich eins aus dem anderen. Auch die Eltern wollten den Himmel betrachten lernen und auch von anderen Schulen erfolgten Kursanfragen. Im Land der Blinden ist der einäugige König.
Die Bewegungsübungen in den Kursen, die dazu dienten, den Weg der Sonne und der Tierkreisbilder kennenzulernen, brachten den Erwachsenen Befriedigung. Sie erfuhren, dass sie auf diese Weise viel mehr lernten als durch das Studieren kluger Bücher. In meinen Anfangsjahren als Lehrerin waren die Konjunktionen von Mars mit Jupiter und Saturn eindrucksvoll. An der Art und Weise, wie die Planeten sich einander und der Sonne näherten und wieder auseinandergingen, ließ sich so vieles entdecken!
Es ist etwas Besonders, in andere Länder zu reisen und den Menschen dort zu zeigen, wie bei ihnen der Tierkreis sich bewegt. Als ich in Deutschland zu unterrichten begann, überraschten mich die sehr gut durchdachten Fragen, die mir entgegenkamen. Ich musste tüchtig arbeiten. Geschichtliche Themen wie der Ursprung der Namen und Figuren der Tierkreisbilder erwiesen sich als überraschend spannend.
In meiner Nachbarschaft steht ein Hinweisschild mit einer Fahrradroute nach Berlin und weiter bis Sankt Petersburg. Auf dem Weg in das östlicher gelegene Berlin sieht die Umgebung tagsüber anders aus als zu Hause. Die Nahrung ist anders, die Menschen sprechen eine andere Sprache, doch nachts sind wir sozusagen Brüder und Schwestern: Dann können wir alle dieselben Sternbilder am Himmel bewundern. Der vertraute Himmel ist auch hier anwesend und man fühlt sich „zu Hause“.
Reist man jedoch nach Norden oder Süden, ändert sich der Nacht- und Taghimmel. Die Sonnenwärme in den Morgenstunden, tags und abends, die Dauer der Dämmerungszeit und die Länge des Tages sind anders, als man es gewöhnt ist. Das ist eine energische Aufforderung an unsere Anpassungsfähigkeit. Die Menschen, die im Norden Europas wohnen, leben in solchen anderen Verhältnissen als die Südeuropäer.
Das Aufschauen zum jeweiligen örtlichen Himmel kann zu einem harmonischeren „Miteinander“ in Europa beitragen.
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