Die Vorzeichen auf den Venustafeln des Königs Ammizaduga
Enuma Anu Enlil, 70 Tafeln mit über 7000 Omina (Vorzeichen)
In der Periode zwischen 1350 und 1100 v. Chr. gab es viele Entwicklungen in der Tiefebene von Euphrat und Tigris. Ältere religiöse Texte und Epen, wie z.B. das Gilgamesch-Epos, wurden gesammelt und bekamen eine neue Form. Man sammelte auch die älteren Texte über die Wetterphänomene, die Farbänderungen der Sonne, Erdbeben und Gewitter, die Mond-, Sonne- und Venusbeobachtungen und die Finsternisse. Der Beginn der beschreibenden Sternkunde hat in dieser Zeit stattgefunden.
Aus dieser Sammlung entstand etwa 1100 v. Chr ein Kompendium: die Enuma Anu Enlil, ein Schriftstück von 70 Tafeln mit über 7000 Omina (Vorzeichen). Wahrscheinlich gehen die ältesten beschriebenen Himmelsbeobachtungen zurück bis 1950 v. Chr.
Enuma Anu Enlil bedeutet "Wenn Anu und Enlil". Nachdem die Versammlung von 70 Tafeln, das Kompendium, entstanden war, wurde diese zitiert, kommentiert und auch wieder kopiert und bearbeitet.
Die rechnerische Sternkunde war damals sehr slicht. Diese wird sich ab etwa 800 v. Chr. entwicklen und etwa 500 Jahre später aufblühen.
Die Venus-Tafel des Königs Ammizaduga
Die ältesten erhaltenen systematischen Himmelsbeschreibungen beziehen sich auf Venus, den hellsten Planet. Während 21 Jahren wurde notiert wann Nin-si-an-na Venus im Osten oder Westen verschwand, wie lange sie unsichtbar blieb und wann sie im Westen oder Osten erschein. Diese Liste wurde zum 63. Tafel des Kompendiums, siehe das Bild.
Dank der Gelehrtheit und Aufmerksamkeit von F. Kugler konnte herausgefunden werden, dass diese Beschreibungen von Phänomen (höchstwahrscheinlich) aus der Zeit des altbabylonischen Königs Ammizaduga (Ammi-saduqa) stammen. Er regierte 21 Jahre, wahrscheinlich ab 1646 v. Chr.
Relative sehr viel Forschung hat an den Daten stattgefunden. Angaben über Tag-Monat-Regierungsjahr wurden umgerechnet in Zeitangaben im gregorianischen Kalender um mehr Überschau zu gewinnen.
Der Übersetzer der Venus-Tafel, Stephen Herbert Langdon (1876-1937), hat einen Goldgriff zum Verstehen der Anfängen der Astrologie gemacht. Siehe
langdon_fotheringham_venus_tablets_ammizaduga_1928.pdf
Was damals im Waffengewalt der Chronologiestreit untergegangen ist, ermöglicht die relativ junge kosmische Vorzeichen mit den viel älteren medizinischen Omina zu vergleichen.
Wenn diese Phänomene, dann wird das Geschehen
Transkription und Übersetzung von S. Langdon
Der Text fängt jedes Mal mit "summa" an, von Langdon übersetzt summa durch "if", von Stefan Maul durch "wenn; gesetzt, daß". Auf "summa" folgen die empirischen Fakten; jeweils das Ähnliche in gleicher Reihenfolge beschrieben. Die zeitlichen Phänomene sind aufgelistet: den Tage des Monates auf welchem Nin-si-an-na im Osten oder im Westen verschwand, wieviel Tage sie abwesend war und wenn sie im Westen bezüglich im Osten wiedererschien.
Die Transkription gibt die Name Nin-si-an-na, nennt also nicht die beiden Göttinnen. Da wird kein Unterschied gemacht zwischen der Liebesgöttin Ischtar und der Kriegsgöttin Dilbat.
Das Räumliche beschränkt sich auf dem Gegensatz Ost-West. Auffällige Phänomene, wie z.B. die monatliche Süd-Nordverschiebung der Untergangsstelle, die Helligkeit beim Sichtbarwerden, die Höhe von Venus bei Sonnenuntergang oder wieviel Stunden sie nach Sonnenuntergang am Himmel bleibt, sind nicht beschrieben.
Entsprechend den viel älteren medizinisch-diagnostischen Keilschriftexten, und auch entsprechend den Gesetzen der Rechtsbücher, wird "summa ..." mit einem zukünftigen Geschehen in Verbindung gebracht. Das Neulicht von Nin-si-an-na im siebten und achten Regierungsjahr kündigt an "there will be rains in the land, desolation will be wrought".
Der zweite Teil des Textes beschrieb jeweils was diese Fakten für das Wohle des Landes bedeuten: "Dann ... ". Eine bestimmte Wirkung für das Land und für den König, wie reiche Ernte, Regen, Feindschaft und Verwüstung wurde berichtet.
Wäre es möglich an den "reinen himmlischen Phänomenen" besser zu erkennen, wie "Wenn..." und "Dann ..." zusammenhangen, als die Texte über die Leberschau es uns ermöglichen?
Die Entdeckung von S. Langdon
-
"the omens are taken from the risings only".
Der Übersetzer Langdon hat entdeckt: "the omens are taken from the risings only". Für die Omen sind also die Phänomene der vorherigen Sichtbarkeitsperiode wie das Verschwinden ("settings" in der linken Kolumne) und die Länge der Unsichtbarkeit nicht relevant. Man könnte sagen, der Richter schaute für seinen Rechtsspruch nur zum welchem Monat Nin-si-an-na wieder sichtbar wurde. Die "Wenn.. dann" Verknüpfung reduziert sich auf einen Variant: "Wenn Nin-si-an-na in Monat X sichtbar wurde, dann ...".
Die Namen der Monaten sind den Monatsnamen des altbabylonische König Hammurapi (1792–1750 v. Chr.) Nisannu, Aiaru, Simanu, Duzu, Abu, Ululu (VI), Tasritu, Arahsamna, Kislimu, Tebetu, Sabatu, Adaru (XII) ziemlich ähnlich. Die Rolle des Sonnegottes, des Gottes der Gerichtigkeit ist viel leicher erkennbar als bei dem Opferschau. "Dann ..." hängt ja ab vom Monat des Jahres beim Neuerscheinen.
Die große Rolle des Zeitlichen, des Monate, für das Omen tritt in viel späteren Mondfinsternis-Omina auch auf. Abhängig des Monates des Jahres hat das Vorzeichen für eine bestimmte Regio eine Bedeutung. Dies ist der Vorläufer der späteren Tierkreiszeichen-Trigonen-Astrologie.
Es wäre leichter gewesen, Langdon hatte seine Kolumen anders geordnet. Für eine Versuch die Zusammenhänge "Rising" and "Omen" mehr überschaubar zu ordnen, siehe Langdon-Rising-Omen-Ululu.pdf .
Das PDF bietet die Übersetzungen von allen Omina. Wie man sieht, sind diese Prognosen ziemlich allgemein und offen. Für unterscheidlichen Monate sind manchmal das gleiche Omen.
Das PDF zeigt sehr deutlich: Das Venus-Neulicht bekommt acht Jahre später (z.B. Tebit Regierungsjahr 2 und 10) öfters buchstäblich das gleiche Omen. Bei Astronomen leuchtet dies gleich ein: der Planet ist ja nach jeweils acht Sonnenjahren wieder im gleichen Monat.
Es gibt außerdem auch das gleiche Vorzeichen wenn Venus nach acht Jahren einen Mondmonat früher oder später ihr Neulicht hat. Das ist bemerkenswert. Dies sagt ja etwas über wie der König schaltet. Und auch zeigt es, dass die Name des Monats "unwichtiger" war als die aktuelle Phase im Kreislauf der Natur.
- Ayar, Ulul, Tebit, Sabat and Adar are clearly propitious months, especially for harvest.
Das Gleiche anders formuliert: Venus-Neulicht in den Monaten II, VI, X, XI und XII sind gute Monate, namentlich für die Ernte. - Ab, Arahsamna and Kislev are clearly nefast."
Das Gleiche anders formuliert: Venus-Neulicht in den Monaten V, VIII und IX sind sehr ungünstig: Regen, die Ernte geht verloren. - Da sind weitere Omen wie: "the heart of the land will be happy, king will send greetings to king", "king will send challenge of war to king".
Die Monate lassen sich zunächst nur sehr grob umrechnen im gregorianischen Kalender. Man braucht ja dazu zu wissen wann das Regierungsjahr sein Neujahrstag hatte im gregorianischen Kalender. Für einen ersten Eindruck wie die "positiven und negativen" Omen im Jahreslauf verteilt sind:
- Venus-Neulicht etwa in Januar, Februar, März, Mai und September gibt eine gute Ernte.
- Venus-Neulicht etwa in August, November und Dezember: Regen und die Ernte geht verloren.
Unterschieden zwischen
"Omen Leberschau"
und
"Omen Neulicht Mond und Venus"
Wieso Venus Neuaufritt in einem Monat zu einem bestimmten Omen führt, lässt sich gar nicht so einfach verstehen als bei den Omina, die sich beziehen auf das Mond-Neulicht auf Neujahrsabend. Die Analogieschlüsse sind rätselvoll. Im mythologischen kommt INANNA bei Venus-Neulicht aus der Unterwelt zürick , sie geht wieder nach ihrem Heim. Solche Bilder könnten vielleicht helfen die Monat-Omina-Einteilung besser zu verstehen.
Die Venus-Omenverteilung zeigt ein weitgehende Systematisierung auf Grund nur ein einziges emperisch Faktum. Wie anders als bei der Leberschau, dort wurde auf Grund einer Fülle an Beobachtungen die gestellte Frage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet. Und bei wichtigen Fragen besprachen die Gelehrten ihre Beobachtungen mit einander um zu einem gemeinsamen Urteil zu kommen. Wenn es nötig war, wurde die ganze Prozedure, das ganze Rituell, neu gemacht.
Beim Opferlamm wurde eine Frage eingeflüstert, die als Antwort nur Ja oder Nein haben konnte. Alle Beobachtungen wurden systematisch erforscht auf + oder -. Jeweils was der Wahl also ganz eingeschränkt.
Bei den Venus-Omen ist gleichfalls von Anfang an eine systematische Einteilung. Bei "Wenn ... " gibt ein sehr eingeschränkte Reihe empirischen Fakten: theoretisch 13, aber da Venus nicht im ersten Monat Nisan ihr Neulicht hat, sind da nur 12 "Wenn.. ". Der Venus-deuter braucht viel weniger Zeit und Mühe als der Leber-deuter.
Da war die Frage: Wäre es möglich an den "reinen himmlischen Phänomenen" besser zu erkennen, wie "Wenn..." und "Dann ..." zusammenhangen, als die Texte über die Leberschau es uns ermöglichen?
Was wir entdeckt haben, ist der mono-kausale Beziehung "Monat X" - "Aussage Y". Würde mehr Verständnis von den einzelnen Monaten die Omen verdeutlichen?
Für die kosmischen Omen braucht kein Schaf geschlachtet zu werden und man braucht sich nicht zu bemühen, was eine gute Frage wäre. Man könnte sagen, die Venus-Omina sind wie ein Geschenk der Göttin.
Die sogenannte kosmischen Vorzeichen sind die Vorläufer einer mono-kausalen Betrachtungsart des Einzelnen, während die Leberomina in einer holistischen Betrachtungsart der Gemeinschaft der Gelehrten eingebettet sind.
Quelle: https://www.louvre.fr/en/oeuvre-notices/model-liver-divination
Weitergehende Schematisierung der Venus-Omen
"Das ist freilich eine starke Vereinfachung der Wirklichkeit, aber mit solchen Vereinfachungen muss man anfangen, wenn man Regelmässigkeiten im Verlauf der Himmelserscheinungen erkennen will."
"Die Daten steigen ... in arithmetischen Reihen. Was wir hier vor uns haben, ist die erste Anwendung von arithmischen Reihen auf die Astronomie. Allerdings ist die Anwendung ganz primitiv und für unser Gefühl wenig sinnvoll. Spätere Generationen von babylonischen Astronomen haben dasselbe mathematische Hilfsmittel in viel raffinierterer Weise auf die Berechnungen von Himmelserscheinungen angewandt."
Quelle: B. L. VAN DER WAERDEN: Die Anfänge der Astronomie, Erwachende Wissenschaft II, Birkhäuser Verlag, Basel 1980, 2. Auflage, S. 48
Meines Ansehens nach ist dieses Schema eine viel zu starke Vereinfachung der Wirklichkeit. Bei Venus sind ja die Unterschieden zwischen empirischen Fakten und Mittelwert ja noch viel größer als beim Mond. Ihr eigene Bewegungscharakter, das gerade nicht überschaubar Kommen und Gehen, wird stark verschleiert.
Stephan Langdon: "It is obvious that the omens of this inserted artificial text of K. 160 agree almost completely with those of the old source."
Die Venus-Omen, die wahrscheinlich eine viel kürzere Tradition haben als die Leber-Omen, wurden schon bald bei der weitergehenden schematisiert von der Empirie entfremdet. Dieses Loslassen van aktuellen Beobachtungen scheint mir eine komplett neue Phase des Voraussagens zu sein.
Man könnte sagen, Venus, die bunte Herrin des Himmels, "ruft dies ja selber auf". Für das Kopfwissen benimmt sie sich ja viel zu kompliziert.
Auch dem Venus-Maya-kalender liegt ein Beobachten des Abend- und Morgenplanets zugrunde und ein Schematisierung ihr Kommen und Gehen.
Das ganzheitliche Urteilen beim Wählen des Schaltmonates
versus
das monokausale Urteilen beim Venus-Omen
Im Zweistromland wurde wahrscheinlich etwa 1650 v. Chr der Schritt gemacht vom ganzheitlichen Urteilen in Ratsammlungen, in Gesprächen von Gelehrten und Fachmenschen, nach monokausalen Urteilen eines Omenschreibers.
Diese Venus-Mond-Sonne Texten sind April 2020 geschrieben. Das sogenannte rätselvolle Coronavirus hat viel im Gang gebracht, vieles was vorher mehr verschwommen war, trat in Erscheinung. Und immer wieder entdeckte ich, dass Studium der Entwicklung der Menschheit von 3000 bis 1650 v. Chr. hilft Unterschied machen zu können zwischen fruchtbaren und krankmachenden Verfahren. In babylonischer Vorzeichen-Wortlaut:
Wenn Wissenschaftler behaupten, dass Forschungsergebnisse wie allgemein gültige Rechtsurteilen sind, die auf ewiger Wahrheit gegründet sind, bedingen sie neue Schwierigkeiten.
Wenn Wissenschaftler mit Kollegen ehrlich gemeinsam forschen, können die Grenzen der tradierten Vorstellungen mutvoll anerkennt werden und Grenzüberschreitenden Fragen gestellt werden.
Wenn Politiker wollen, dass subjektive ausgewähltes Teilwissen zum Fundament des neuen Verfahrens wird, verursachen sie neue Sackgassen.
Wenn Politiker wollen, dass die Freiheit der Einzelnen nicht die Gesundheit der Anderen in Gefahr bringt, führen sie wie ein guter Hirt.
Wenn Menschen sich bemühen, immer neu zu beobachten und hierüber selbständig sich Gedanken zu machen, kann eine neue menschliche Kultur aufblühen.
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