Rezension
Liesbeth Bisterbosch, Himmelskunde, Kassel 2005 (überarbeitete Neuauflage)
Im vergangenen Jahr ist eine Neuauflage der Schrift „Himmelskunde“ von Liesbeth Bisterbosch erschienen, die sich für die Vorbereitung der entsprechenden Epoche der siebten Klasse seit langem bewährt hat. Nun enthält die Veröffentlichung einen überarbeiteten und ergänzten geschichtlichen Teil, auf den mit einigen Sätzen aufmerksam gemacht werden soll.
Auf 40 Seiten in DINA4-Format gibt Liesbeth Bisterbosch, aufbauend auf den wissenschaftlichen Arbeiten von B.L. van der Waerden, A. Pannekoek und E.J. Dijsterhuis einen gedrängten, detailreichen Überblick über die Geschichte der Astronomie. Dabei sind die Ausführungen nicht als Lehrstoff für die Schüler einer siebenten Klasse gedacht, sondern als Studienmaterial für Lehrer. Die Veröffentlichung ist schon deshalb verdienstvoll, weil Geschichtswerke zumeist die astronomischen Auffassungen einer Kultur ausklammern, obwohl sie für die jeweilige Weltauffassung von großer Bedeutung sind.
Nun enthält die Studie von Liesbeth Bisterbosch eine Fülle von Informationen und auch manches Überraschende, auf Eines sei besonders hingewiesen: Die Vorstellung, schon im alten Mesopotamien, also im 3. Jahrtausend v.C., habe es die räumliche Vorstellung eines Tierkreises mit entsprechenden Tierkreisbildern gegeben, kann als widerlegt gelten. Die überlieferten Texte und Bilder machen zwar deutlich, dass die Babylonier führend waren bei den himmelskundlichen Beobachtungen, zu einer geometrischen Darstellung des Tierkreises aber kam es erst im 5. vorchristlichen Jahrhundert im Zusammenhang mit griechischen Einflüssen. Die älteste Liste von 12 Tierkreisbildern findet sich in einer babylonischen Textsammlung, die zwischen 462 und 440 verfasst worden ist; dabei bekam jeder Abschnitt auf dem Sonnenweg von 30° den Namen der Sterngruppe, die hier am Himmel stand. Auf der Grundlage dieser Auflistung und mit Hilfe der mythologischen Überlieferungen haben Astronomen wie Franz Kugler (1862 – 1929) und Carl Bezold (1859 – 1922) eine Abbildung angefertigt, auf der die babylonischen Tierkreisgestalten im Kreis angeordnet sind. Die meisten Bilder sind uns vertraut, allerdings gibt es auch – etwa beim Steinbock und beim Wassermann – deutliche Abweichungen von der späteren Gestaltung. Angesichts eines solchen Befundes stellt sich natürlich die Frage, welches Verhältnis die Erkenntnissuchenden früherer Zeiten zum Sternenhimmel hatten, welche Haltungen und Gefühle sie bewegten und zu welchen Beobachtungen sie gekommen sind.
„Ungefähr um 700 v.C.“ so Liesbeth Bisterbosch – „hatten die Priester noch keine räumliche Vorstellung eines Sonnenweges durch die 12 Sternbilder.“ (76) Allerdings war das astronomische Wissen, zu der Idee eines Kreises zu kommen, damals bereits vorhanden. Denn aus dieser Zeit ist ein Sternkatalog überliefert, der mulAPIN, in dem 71 Sternnamen genannt werden, wobei noch kein Unterschied zwischen einzelnen Sternen und Sterngruppen gemacht wurde. Zudem war sorgfältig registriert, wann diese Sterne auf- und untergingen und welcher Stern gleichzeitig zum Aufgang am südlichen Himmel an seiner höchsten Stelle stand. Darüber hinaus enthält der Katalog eine Liste der Sterne, an denen der Mond, ein „Wanderlicht“, vorüberzog, sie beginnt mit dem Stier und enthält die Namen der meisten späteren Tierkreisbilder.
Aus noch früherer Zeit waren die Monate bekannt, sie werden schon in den ältesten astronomischen Keilschrifttexten aus dem Zweistromland aus der Zeit um 1600 v.C. erwähnt. Dabei orientierten sich die Babylonier an den Bewegungen des Mondes: „Wenn die Priester das erste Erscheinen des feinen Lichtbogens des Mondes wahrnehmen konnten, begann der neue Monat. Bei Vollmond fanden die Feste statt. 12 oder 13 Monate (Vollmondzyklus) bildeten zusammen ein Jahr.“ (70)
Diesen Monaten waren jeweils drei Sterne zugeordnet, entsprechend dem babylonischen Schöpfungsmythos, nachdem der Gott Marduk die Sterne erschaffen und das Jahr eingeteilt hatte: „Für jeden der 12 Monate schuf er 3 Sterne. In Übereinstimmung mit den Jahreszeiten gestaltete er die Sterne.“ (71) Geht man den Namen dieser ältesten 36 Sterne bzw. Sterngruppen nach, so finden sich eine Reihe der uns heute bekannten Sternbilder wie Zwillinge, Waage, Skorpion und Wasserschlange (Hydra) darunter, zudem SIBA.ZI.AN.NA, übersetzt: der treue Himmelshirte, die Sterngruppe, die wir heute als Orion bezeichnen und mit der wir nach der griechischen Mythologie den Begriff des Jägers verbinden. Diese Sterne wurden als Götter verehrt, von einzelnen gibt es aus der Zeit von 1400 und 1200 Abbildungen, zum Teil auf Grenzsteinen, sollten sie doch mit ihrer Macht das Eindringen von Feinden und Räubern verhindern. Der Schütze ist dargestellt mit einem Menschenkopf und einem Hundekopf, zwei großen Flügeln und einem Pferdeunterleib, der Wassermann als Gott mit zwei Krügen, aus denen wellenartig Wasser strömt.
„Etwa tausend Jahre später wurden diese mythologischen Wesen mit ähnlicher Form als Tierkreisbilder gemalt. Die späteren ägyptischen Abbildungen der 12 Tierkreisbilder sind dem babylonischen sehr ähnlich. Griechen und Römer haben die Namen und Gestalten der Sternbilder übernommen und weiter verbreitet.“ (71) Was Liesbeth Biesterbosch in dieser Formulierung lapidar andeutet, entwickelt sie in knappen, aber äußerst informativen Kapiteln über die ägyptische, griechische und römische Astronomie, weitere Ausführungen befassen sich mit der antiken Astrologie und den Forschungen der Araber und der Renaissance sowie den nachfolgenden Jahrhunderten; dabei wird auch die für die Astrologie wichtige zunehmende Differenz von den am Himmel wahrnehmbaren „Tierkreisbildern“ und den abstrakt-geometrisch festgelegten „Tierkreiszeichen“ angesprochen.
Insgesamt zeigt sich im Blick auf die geschichtliche Entwicklung, dass die kosmischen Phänomene im Verlauf der Jahrtausende unterschiedlich erlebt wurden: das „mythologische Empfinden verblasste, die Fähigkeit zum räumlich exakten Registrieren von Positionen am Himmel und das logische Denken wuchsen.“ (98) Ein wichtiger Wendepunkt war in diesem Zusammenhang das 6. und 5. vorchristliche Jahrhundert, als die vorhandenen Bilder und Beobachtungsergebnisse unter dem Einfluss des griechischen Denkens in das Konzept eines geometrisch erfassbaren Tierkreises mit einer Gliederung von 12 x 30° gegossen wurden. Damit ordnet sich die Astronomie als Kulturphänomen in die allgemeine Bewusstseinsgeschichte ein, die in dieser „Achsenzeit“, wie es Karl Jaspers formuliert hat, den Schritt vom Mythos zum Logos vollzog.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob für uns Heutige nachvollziehbar ist, wie die Babylonier, Ägypter und frühen Griechen überhaupt zu „Bildern“ für bestimmte Sterne und Sterngruppen gefunden haben. Wie ist es dahin gekommen, dass in bestimmten „Lichtkompositionen“ am Himmel die Qualität des Skorpions, in anderen die des Schützen erlebt wurde? Zumindest in knappen Andeutungen tastet hier Liesbeth Biesterbosch in eine Richtung, die kurz angedeutet werden soll.
Die babylonische Kultur entfaltete sich in einem flachen Wüstengebiet an den Flüssen Euphrat und Tigris. In einem solchen trockenen, südlichen Land ist das Funkeln am Himmel weit intensiver als bei uns. Selbst in den hellen Monaten zwischen April und August sind in den Nächten ohne Mondschein die Himmelslichter überwältigend. Vor Jahrtausenden waren die unterschiedlichen Licht- und Farbqualitäten wahrscheinlich noch viel ausgeprägter als man es heute aufgrund der Luftverschmutzung auch an entlegenen Orten erfahren kann. Angesichts solcher Eindrücke stand der Priester an der Spitze des Stufentempels in der seelischen Erwartung, den Göttern zu begegnen, und dabei ging es ihm nicht um das Wahrnehmen von Lichtpunkten und ihrer geometrischen Verhältnisse. „Die Priester schauten auf eine ganz andere Art und Weise zu den Sternen. Sie waren vertraut mit der Reihenfolge, in der die Sterne erschienen, so z.B.: Einige Zeit nach dem blauen Regulus erschien die blaue Spika und der orangefarbene Arktur und dann begann es zu dämmern. Vielleicht rief bei ihnen die Erfahrung von farbigen Lichtern in der jeweiligen Reihenfolge in dem betreffenden Monat eine besondere seelische Gestimmtheit hervor. Konnten sie an solchen Erfahrungen die Sterne unterscheiden?“ (73)
Aus dem Bewegen einer solchen Fragestellung ergibt sich der Wunsch, den in der vorliegenden Studie nur knapp erwähnten Bild- und Textdokumenten aus der mythischen Zeit näher zu kommen. Wie sahen die Darstellungen des Schützen und des Ziegenfisches auf den Grenzsteinen von 1200 v.C. genau aus? Wie wurden die Sterne in den Tabellen um 1100 in landwirtschaftlicher Hinsicht beschrieben? Zu welchen Resultaten käme man, wenn auch der keltisch-germanische Raum einbezogen würde? Solche und ähnliche Fragestellungen mögen als Ermutigung an die Autorin verstanden werden, die Fülle der zusammengetragenen Fakten in eine ausführlichere Darstellung einmünden zu lassen.
Albert Schmelzer (2007)
Freie Hochschule für anthroposophische Pädagogik
68169 Mannheim
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